Du bist nicht betroffen?

Du glaubst, du bist nicht betroffen?
Jeder und jede ist betroffen!

  • Du bist betroffen – durch Deine Arbeitskollegin, die Dir unheimlich auf die Nerven geht und jeden Tag eine andere Person zu sein scheint
  • Du bist betroffen – durch Deinen Vater, der zum Alkoholiker wurde, weil seine Schwester vom gemeinsamen Vater missbraucht worden ist
  • Du bist betroffen – durch die Höhe Deines Krankenversicherungsbeitrages, der so hoch ist, weil die Folgeschäden epidemische Ausmaße in unserer Bevölkerung haben
  • Du bist betroffen – durch Deine Ehefrau, die sich während der Geburt Eures Kindes plötzlich an ihren Missbrauch erinnert und ab da an eine andere Person ist
  • Du bist betroffen – durch Deinen Freund, an den Du nie richtig herankommst
  • Du bist betroffen – durch den Junkie, der Dich auf der Straße überfällt, um sich seine „Verdrängungs-Medizin“ zu besorgen
  • Du bist betroffen – durch die Oberflächlichkeit, durch die „Schutzmasken“ und „hohen Wände“ der vielen Menschen, denen Du begegnest und die Du eigentlich gerne näher kennen lernen würdest
  • Du bist betroffen – als Mann, weil das „Ja“ Deiner Freundin nichts wert ist, wenn sie niemals „Nein“ sagen durfte
  • Du bist betroffen – durch den rücksichtslosen Manager, der sich seine (entgangene) „Liebe“ durch Geld und Macht holt
  • Du bist betroffen – als Vater oder Mutter, wenn Dein Kind von einem Jugendlichen überfallen und missbraucht wird, weil dieser seine eigenen erlebten Ohnmachtgefühle in einen mächtigen Triumph über einen schwächeren Menschen umwandelt
  • Du bist betroffen – durch Deine Nachbarin, die spät abends ihre Musikanlage auf volle Lautstärke schaltete, die in der Nacht lautstark mit sich selbst herumflucht und ihre sie am Wochenende besuchenden Kinder regelmäßig zusammenschreit
  • Du bist betroffen – durch Deine beste Freundin, die ab dem 15. Lebensjahr mit allen Jungs schlief, die sie bekommen konnte, sich auf Partys regelmäßig blamierte und deren Freundschaft Du schließlich beendet hast, weil ihr euch nicht mehr verstanden habt
  • Du bist betroffen – weil Dein Nachbar, der früher nie die Chance erhielt, sich selbst zu achten und wertzuschätzen, auch Dich und Deine Familie nicht achten und wertschätzen wird
  • Du bist betroffen – durch die vielen SozialhilfeempfängerInnen, die durch ihre Geschichte direkt auf die Arbeitsunfähigkeit zugesteuert sind und die die Höhe Deines Sozialversicherungsbeitrages u.a. ausmachen
  • Du bist betroffen – durch Deine Cousine, die sich bis zur Selbstaufgabe auf ihre sportlichen Erfolge konzentriert, um für sich ein positives Selbstbild erhalten zu können und dabei ihre eigene Gesundheit aufs Spiel setzt
  • Du bist betroffen – durch Deine Kindheitsfreundin, die sich mit Beginn der Pubertät plötzlich verändert hatte, die nicht mehr vernünftig essen wollte, die plötzlich „verwahrlost“ herumlief, sich nur noch selten wusch und zu der Du dann den Kontakt verloren hast
  • Du bist betroffen – als Sohn Deiner Mutter, die ihr Trauma nie aufgearbeitet hat, bei der Du allerdings immer etwas gespürt, verdeckte Botschaften empfangen und letztlich ihr Trauma unbewusst erfasst hast und jetzt als Erwachsener „Erbe“ ihrer Gefühle bist und Deine eigenen schwerwiegenden Probleme mit Deinem Leben hast
  • Du bist betroffen – als Partner/-in, weil Deine Freundin oder Dein Freund sich selber Verletzungen zufügt, Du ihn/sie nicht daran hindern kannst und dabei selbst fast an dem ganzen Leid psychisch zu Grunde gehst
  • Du bist betroffen – als Lockführer, wenn ein Dir unbekannter Mensch von einer Brücke direkt vor Deinen Zug springt, Du nicht mehr rechtzeitig bremsen kannst und Dich dieses Erlebnis den Rest Deines Lebens verfolgt
  • Du bist betroffen – als gute Freundin, wenn Du zuhörst, wenn Du von dem Leid Deiner Freundin erfährst und sie Dir Erlebnisse erzählt, die fern Deiner bisherigen Vorstellungskraft lagen
  • Du bist betroffen – durch die vielen „Mitläufer“, die unkritisch alles tun und glauben, was ihnen gesagt wird, weil sie es nie anders kennen gelernt haben
  • Du bist betroffen – durch die vielen indirekten Opfer, denn ein Opfer leidet nicht alleine, mit ihm/ihr leidet seine/ihre Familie und Umgebung
  • Du bist betroffen – weil die Welt so ist, wie sie ist, und die psychische und physische Vergewaltigung von Kindern (+ Frauen und Männern) ist hier eine, wenn nicht gar die Hauptursache
  • Du bist betroffen – weil es keine (soziokulturelle) Entwicklung geben wird, solange Kinder auf dieser Welt leiden

Quelle: ” Hamburger Initiative gegen sexuelle Gewalt an Kindern”

14 Antworten zu Du bist nicht betroffen?

  1. Violine schreibt:

    Danke fürs Einstellen! SEHR wichtig!

  2. Pingback: violine.twoday.net

  3. Violine schreibt:

    Find‘ ich total toll, was Du Dir hier für Mühe gibst. Hab‘ diesen Traumavortrag durchgelesen. Wirklich gut.

  4. Ilana schreibt:

    Danke 🙂

  5. circe schreibt:

    Hallo Ilana,
    habe vor Tagen schon mal auf Deinen Seiten geblättert und heute Einiges genauer durchgelesen. Ja, wir sind wohl alle irgendwie betroffen, mehr oder weniger und jeder aus seine Art…Auch mein Blog dreht sich um` Aufarbeiten und sich finden wo komme ich her wo will ich hin.
    An dieser Stellen meinen lieben Gruß
    circe

    • Ilana schreibt:

      Bin ja auch vor ein paar Tagen auf deinen Blog gestoßen – und es sprach mich sehr an wie du schreibst, da ich das kommentieren oft so schwer finde hab ich es aber nicht geschafft dir das dort zu sagen – von daher freu ich mich um so mehr, dass du hier bist.

  6. Karla aus Ostsachsen schreibt:

    Liebe Ilana,
    ich bewundere dich und deine Fähigkeit, durch das „Tabu-Thema“ zu führen. Jetzt muss ich das Gelesene und mich erst einmal sortieren. DANKE. Ich komme wieder auf deine Seite. Nicht nur, weil ich eine Betroffene bin.

    Ich wünsche dir Tage, an denen du dich im ersten Teil deiner Schmerzskala bewegen kannst und für die anderen skills, die lindern können.

    Liebe Grüße aus dem Raum Dresden
    von
    Karla

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  8. Karla aus Ostsachsen schreibt:

    Liebe Ilana,
    dein blog hilft mir, einiges klarer zu sehen. Mir wurde unterstellt, dass ich mir den Missbrauch in der Kindheit nur einbilde… Ich war geschockt. Als vor wenigen Jahren die Missbrauchsdebatte in den Medien war, ist bei mir alles wieder hochgekommen, nach Jahrzehnten des Verdrängens.

    Ich wünsche dir von Herzen, dass du Kraft geschenkt bekommst, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort.

    Liebe Grüße
    von
    Karla aus Ostsachsen

  9. Elisabeth schreibt:

    Liebe Ilana
    so oft hab ich nun schon in Dein Blog hin und her, vor und zurück geblättert. Und so oft bin ich genau hier hängengeblieben. Dein Blog ist so wichtig, Du kannst so gut schreiben, erzählen, erklären. Der Post hier ist einer der Wichtigsten, er sollte viel mehr Beachtung finden.
    ich wünsche Dir einen guten, schönen Tag
    ganz liebe Grüsse
    Elisabeth

  10. Ilana schreibt:

    LIebe Elisabeth – danke dir :). Er ist ja auch zum verteilen gedacht.

  11. Rollifahrerin schreibt:

    Ich möchte folgende Sätze verstehen:
    Zitat: „Du bist betroffen – durch Deinen Freund, an den Du nie richtig herankommst.“
    Ich verstehe das nur wortwörtlich. Wie ist das eigentlich gemeint?

    Zitat: „Du bist betroffen – durch Deine Kindheitsfreundin, die sich mit Beginn der Pubertät plötzlich verändert hatte, die nicht mehr vernünftig essen wollte, die plötzlich „verwahrlost“ herumlief, sich nur noch selten wusch und zu der Du dann den Kontakt verloren hast.“
    Ich war wohl die Kindheitsfreundin. Wie hängt das mit einem Trauma zusammen?

    Zitat: „Du bist betroffen – als Sohn Deiner Mutter, die ihr Trauma nie aufgearbeitet hat, bei der Du allerdings immer etwas gespürt, verdeckte Botschaften empfangen und letztlich ihr Trauma unbewusst erfasst hast und jetzt als Erwachsener „Erbe“ ihrer Gefühle bist und Deine eigenen schwerwiegenden Probleme mit Deinem Leben hast.“
    Wie manifestiert sich das neben einem Trauma?

    • Ilana schreibt:

      Das sind alles nur Beispiele. Manche Menschen mit erlebten Trauma ziehen sich zurück, lassen niemanden an sich ran, vertrauen niemanden und halten immer Abstand (äußerlich oder innerlich). Oder sie hören auf sich zu waschen, pflegen, schminken, grade in der Pubertät geht es ja oft um Äußerlichkeiten und manche verstecken sich dann in zu großen Klamotten oder pflegen sich nicht mehr.
      Wer das Trauma nicht aufarbeitet, wird anders mit Menschen umgehen als ein gesunder Mensch – und das hat Auswirkungen auf die Umgebung. Wenn also eine Mutter oder ein Vater ein unverarbeitetes Trauma haben, werden sie auch anders mit ihrem Kind umgehen – ohne dass es „greifbar“ ist. Sei es, dass sie keine richtige Bindung aufbauen können, oder überfürsorglich ist oder reagieren eben anders als andere – das hat Auswirkungen aufs Kind. Das kann unterschiedlich sein.

      Das alles sind nur Beispiele – keines davon bedeutet, dass man damit ein Trauma diagnostizieren kann. Es ist ein Symptom – das auch unter anderen Erkrankungen auftreten kann.

      Psychische Traumata sind aber weit verbreitet und es gibt wohl niemanden, der in seinem Bekanntenkreis auf keinen trifft. Es geht darum da etwas verständnisvoller auf „Eigenheiten“ zu reagieren.

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